Anna sitzt in meinem Praxisraum, die Hände fest in ihrem Schoß verschränkt. Ihre Augen wandern ruhelos durch den Raum, als würde sie nach etwas suchen, das sie beruhigen könnte. „Ich weiß nicht mehr, wie ich das machen soll“, sagt sie leise. „Es fühlt sich an, als ob zwischen uns eine Mauer steht. Ich kann ihn nicht mehr erreichen.“
Anna spricht von ihrem Mann. Die beiden sind seit zehn Jahren verheiratet, haben Höhen und Tiefen erlebt, doch in den letzten Monaten scheint sich ein tiefer Graben zwischen ihnen aufgetan zu haben. Gespräche enden oft in Missverständnissen, und die einst vertraute Nähe ist zu einem fernen Echo geworden. Anna ist verzweifelt, müde und traurig. Sie sehnt sich nach der Verbindung, die einst so selbstverständlich war.
Ich frage sie: „Wie war es damals, als ihr euch kennengelernt habt?“
Ein sanftes Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Es war leicht“, sagt sie. „Wir haben uns blind verstanden. Es war so, als ob wir uns immer gekannt hätten. Ich habe mich so sicher gefühlt, wie nie zuvor.“
In diesem Moment wird klar, was Anna verloren hat: das Gefühl von Sicherheit und Verbundenheit. Was sie in ihrer Ehe vermisst, ist die tiefe emotionale Bindung, die sie einst so stark gespürt hat. Sie hat Angst, dass diese Nähe für immer verloren ist.
Doch in Wahrheit ist diese Bindung nicht verschwunden. Sie ist nur in den Hintergrund gerückt, verdeckt von Alltagsstress, Unsicherheiten und den Wunden der Vergangenheit. In meiner Arbeit als Therapeutin erlebe ich oft, wie Paare wie Anna und ihr Mann diese Verbindung wiederentdecken. Es ist keine schnelle oder einfache Reise, aber es ist möglich.
„Es ist normal, dass die Verbindung manchmal schwächer wird“, erkläre ich ihr. „Besonders in Zeiten von Stress und Herausforderungen. Aber diese Bindung kann wieder gestärkt werden. Es geht darum, den ersten Schritt zu wagen und sich wieder aufeinander zuzubewegen.“
Anna schaut mich an, mit einem Hauch von Hoffnung in ihren Augen. „Aber was, wenn er nicht mitmacht? Was, wenn ich das allein tue?“
Ich antworte ihr: „Manchmal reicht es, wenn einer den ersten Schritt macht. Oft sind es kleine Gesten, die den Unterschied ausmachen – ein aufmerksames Zuhören, ein offenes Gespräch, ein Moment der Verletzlichkeit. Diese kleinen Schritte können Wunder bewirken.“
Die Reise zur Nähe ist für viele von uns eine Herausforderung. Doch was ich Anna vermitteln möchte, ist, dass Bindung nie ganz verloren geht. Sie ist wie ein Band, das sich dehnen und manchmal schwächen kann, aber nicht bricht. Es braucht Mut, Geduld und Vertrauen, um sich dieser Verletzlichkeit zu stellen. Doch wenn wir den Mut haben, uns dem anderen wieder zu öffnen, können wir eine tiefere Verbindung finden, als wir je für möglich gehalten hätten.
Als Anna den Raum verlässt, hat sich etwas in ihr verändert. Sie hat keinen fertigen Plan und keine garantierte Lösung, aber sie hat etwas Wichtigeres gefunden: Hoffnung. Die Hoffnung, dass Heilung und Nähe möglich sind, wenn wir bereit sind, uns wieder auf den Weg zueinander zu machen.
Durch Geschichten wie Annas möchte ich verdeutlichen, dass unsere Sehnsucht nach Nähe tief verwurzelt ist. Die Bindung, nach der wir uns alle sehnen, kann wiedergefunden werden – manchmal beginnt sie mit einem einzigen, mutigen Schritt.
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